Theaterprojekt des FTM von George Froscher: Tabu-Thema Selbstmord
Premiere Oktober 2001 im i-camp. Allein in Bayern bringen sich Tag für Tag sechs Menschen um. George Froscher und Kurt Bildstein setzen sich in der neuesten Produktion ihres Freien Theaters München mit dem Tabu-Thema Selbstmord auseinander: “Gothic Now“ heißt ihr verstörender Abend im i-camp. Die titelgebenden Gothic-Kreise (zwischen literarischer Romantik des 19. Jahrhunderts und Punkszene der Gegenwart) geben dabei nur die Folie für die theatrale Investigation ab, die nicht bloß von außen Todesmystik betrachtet, sondern in jeder Sekunde unter die Haut geht. Schon die Textcollage – zwischen Goethes „Werther”, Frédéric Beigbeder und Internet-Fundstücken – entwirft ein schockierendes Panoptikum: von der unerfüllten, jugendlich frustrierten Sehnsucht nach einer besseren Welt bis hin zur detaillierten, klinischen Beschreibung des körperlichen Martyriums nach einer Selbstverbrennung.
Dort, wo das Spiel mit der Möglichkeit des Freitods gerade in der zeitgenössischen Literatur nicht selten zur koketten Attitüde gerät, bleibt „Gothic Now” durch die szenische Darstellung berührend greifbar und real. Körper liegen reglos wie im Leichenhaus, um wie elektrisiert in die Höhe zu zucken. Körper prallen zusammen, werden durch den Raum geworfen, schweben an einem Seil über den Köpfen des Publikums, hängen an Gerüsten, stecken sich die Pistole in den Mund – und drücken ab.
Dagegen sind analytische Texte von Freud bis Marx und Beaudrillard geschnitten, die den Fokus vom persönlichen Problem zur gesellschaftlichen Krise verschieben. Schon zu Beginn betritt das Publikum einzeln den Raum durch einen dunklen Gang, wo ein schwarz Maskierter die Hand der Zuschauer in eisiges Wasser taucht. Der gesamte Abend ist eine kraftvolle kalte Dusche, die einen betröpfelt und betroffen zurückläßt. Konsequent ist am Ende einfach Schluss, ganz ohne Verbeugung und Applaus.
(PETER M. BOENISCH in der SZ vom 3. Juni 2002)